Glibber aus der Tiefsee

ETH-Wissenschaftler erforschen die aussergew?hnlichen Absonderungen des Schleimaals. Wie dieses natürliche Hydrogel für den Menschen nutzbar gemacht werden k?nnte, wollen die Forscher in den kommenden drei Jahren herausfinden.

Vergr?sserte Ansicht: Bild: ETH Zürich/Simon Kuster et al.
Der z?he und elastische Schleim des atlantischen Schleimaals hat es einer ETH-Forschungsgruppe angetan. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster et al.)

Dieses Tier hat alles richtig gemacht. Es existiert seit 300 Millionen Jahren, hat die Dinosaurier überlebt, den grossen Meteoriteneinschlag, Warmphasen, Vergletscherungen – und es bev?lkert noch immer die Tiefen der Meere, wo es von Aas lebt oder Beutetiere erlegt. Ein attraktives ?usseres besitzt er allerdings nicht, der atlantische Schleimaal Myxine glutinosa, die meisten f?nden ihn wohl eklig. Dennoch hat eine Gruppe von ETH-Forschern vom Labor für Lebensmittelverfahrenstechnik von Professor Erich Windhab grossen Gefallen an ihm gefunden. Oder pr?ziser gesagt: an seinem Schleim.

Der Schleim ist etwas vom Aussergew?hnlichsten, das die Natur hervorgebracht hat. Sobald ein Schleimaal von einem potenziellen Feind gepackt wird, st?sst er ein Sekret aus, das innerhalb von Sekundenbruchteilen geliert, selbst in kaltem Wasser. Dieses Sekret vermag Unmengen von Wasser zu binden, wodurch sich ein durchsichtiger, z?her und klebriger Schleim bildet. Fische, die es auf den Schleimaal abgesehen haben, ersticken fast ab dem Schleim wodurch der Schleimaal aus dem Mund des Angreifers entkommen kann.

TV-Doku als Funke

Dieser Schleim wird nun zum Gegenstand eines ETH-Forschungsprojekts, an dem Doktorand Lukas B?ni, Masterstudent Lukas B?cker und Postdoc Patrick Rühs unter der Leitung von Senior Scientist Simon Kuster aus der Gruppe von Professor Peter Fischer in den kommenden drei Jahren arbeiten werden.

Vergr?sserte Ansicht: Die milchig weissen Absonderungen des Schleimaals gelieren in kaltem Wasser blitzschnell. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)
Die milchig weissen Absonderungen gelieren in kaltem Wasser blitzschnell. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)

Auf die schleimenden Meeresbewohner stiess Kuster vor zwei Jahren. Er sah einen BBC-Dokumentarfilm über atlantische Schleimaale (engl. Hagfish) - und war von diesen Tieren fasziniert. ?Als Chemiker und Materialforscher hat sich mir sofort die Frage gestellt, woraus der Schleim besteht und wie das Material beschaffen sein muss, damit es eine derart riesige Menge Wasser binden kann?, sagt Kuster.

Vorrecherchen zeigten den ETH-Forschern, dass die Schleimbildung und sein Ausstoss nur wenig untersucht und kaum verstanden sind. Bekannt ist, dass das natürliche Hydrogel des Schleimaals zwei Hauptbestandteile hat: einen rund 15 bis 30 Zentimeter langen Proteinfaden und sogenannte Muzine, welche die F?den untereinander vernetzen und den Schleim erst ?schleimig? machen. Dieser Faden hat ?hnliche Eigenschaften wie Spinnf?den. Er sei extrem reissfest und elastisch – allerdings nur in angefeuchtetem Zustand, sagt Simon Kuster.

Vergr?sserte Ansicht: Masterstudent Lukas Böcker zieht den Schleim in die Länge, um dessen Reissfestigkeit zu demonstrieren. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)
Masterstudent Lukas B?cker zieht den Schleim in die L?nge, um dessen Reissfestigkeit zu demonstrieren. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)

Produziert werden diese Hauptbestandteile in speziellen Drüsen. Darin eingebettet sind zwei Typen von Zellen, die entweder das f?dige Protein oder Muzin produzieren. Bei Gefahr st?sst der Aal diese Zellen ruckartig über Poren aus. Dabei zerreissen die Plasmamembranen, und die beiden Komponenten, also die Proteine und Muzine, kommen frei. Sie interagieren und bilden die Matrix, welche das Wasser ?aufsaugt? und bindet.

Der Schleim besteht aus nahezu 100 Prozent Wasser und enth?lt nur gerade mal 0,004 Prozent ?Geliermittel?. Oder anders formuliert: Das Gewichtsverh?ltnis von ?Geliermittel? zu Wasser betr?gt das 26‘000fache - über 200 Mal mehr als bei herk?mmlicher tierischer Gelatine. Für die Gelierung ist nur sehr wenig Energie notwendig.

Besonders fasziniert hat die ETH-Forscher die Tatsache, dass das f?dige Protein in den Drüsenzellen als Kn?uel von 150 Mikrometern Durchmesser vorliegt, im Schleim aber als mehrere Zentimeter langer, ausgestreckter Faden. Wie dieses Abwickeln genau vor sich geht, ist erst in Ans?tzen gekl?rt. ?Die Wicklung innerhalb der Zelle ist aber hochspezialisiert und sehr ungew?hnlich?, betont B?ni.

Wissenschaft in der Garage

Vergr?sserte Ansicht: Schwierige Haltung: Schleimaale in einem Meerwasserbecken. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)
Schwierige Haltung: Schleimaale in einem Meerwasserbecken. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)

Zur Vorbereitung ihres Projekts reisten die ETH-Wissenschaftler mehrere Male nach Norwegen. Nach langer Suche fanden sie in ?lesund einen Projektpartner, der die M?glichkeit hatte, atlantische Schleimaale in der freien Wildbahn zu fangen und im Aquarium zu halten. ?Bevor wir mit dem Aquarium zusammenarbeiteten, führten wir erste Vorversuche am Schleim in einer Garage durch und  nahmen dafür einen Teil ihrer Laborinfrastruktur der ETH  nach Norwegen mit?, erkl?rte Fischer.

Die Tiere nach Zürich zu transportieren, ist hingegen nicht sinnvoll. ?Der Transport würde sie so stressen, dass sie w?hrend der ganzen Zeit Schleim absondern und schliesslich daran ersticken würden?, sagt Lukas B?cker. Auch h?tten sie in ihrem Labor in Zürich keine M?glichkeit, die Schleimaale artgerecht – in 10-gr?digem frischem Meerwasser bei kompletter Dunkelheit – zu halten.

Super-Hydrogel nach natürlichem Vorbild

Das Ziel des Projektes ist, das vom Schleimaal erzeugte Gel so zu ver?ndern, dass es das Wasser dauerhaft zurückhalten kann und so zu einem ?Super-Hydrogel? werden k?nnte. Dazu müssen die Forscher allerdings erst das Geheimnis des enormen Wasseraufnahmeverm?gen des Schleims ergründen.

Dank ihrer Voruntersuchungen haben die ETH-Wissenschaftler einen Weg gefunden, das Drüsensekret so zu stabilisieren, damit sie es für ihre Studien nach Zürich ins Labor transportieren k?nnen. Welche Faktoren diese Stabilisierung erm?glichen, ist ihnen jedoch nicht bekannt. L?sen sie dieses R?tsel, w?re es denkbar, eine ?hnliche Stabilisationsmethode bei einem biomimetischen Nachahmerprodukt – ein Fernziel des Projekts - anzuwenden. Eine exakte Nachbildung des Sekrets sei allerdings eher unrealistisch: ?Wir k?nnen den Schleim dieses Fisches nicht im Labor nachbauen, dafür ist das natürliche System zu komplex?, betont der ETH-Doktorand. Ein Gel zu entwickeln, das auf dem Prinzip des natürlichen Schleims beruht, liege aber durchaus im Bereich des M?glichen.

Hydrogels sind bereits heute in zahlreichen Anwendungen enthalten, von Papierwindeln über Heftpflaster bis hin zu Bew?sserungssystemen für die Landwirtschaft. Auch in der Nahrungsmittelindustrie werden Hydrogele breit eingesetzt. Andere Wissenschaftler, die bereits früher den Schleim des urzeitlichen Fisches erforscht haben, ?ussersten die Absicht, die Fasern für die Herstellung von Textilien zu nutzen. Ob sich aus dem Projekt, das als High Risk Project mit einen ETH Forschungs-Grant finanziert wird, eine praktische Anwendung ergeben wird, k?nnen die ETH-Forscher noch nicht absch?tzen. Jedoch konnten sie bereits publizieren, dass sie den kurzlebigen Schleim, der unter mechanischem Stress kollabiert, stabilisieren k?nnen und durch das einmischen in andere Hydrogele oder partikul?re Netzwerke zus?tzliche Funktionalisierungen erzielen konnten.

Vergr?sserte Ansicht: Das Sekret des Schleimaals unter dem Mikroskop: In den kokonartigen Zellen ist der Proteinfaden auf spezielle Weise aufgewickelt. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)
Das Sekret des Schleimaals unter dem Mikroskop: In den kokonartigen Zellen ist der Proteinfaden auf spezielle Weise aufgewickelt. (Bild: ETH Zürich/Simon Kuster)

Literaturhinweis

B?cker L, Rühs PA, B?ni L, Fischer P, Kuster S. Fiber-Enforced Hydrogels: Hagfish Slime Stabilized with Biopolymers including κ-Carrageenan. ACS Biomaterials Science & Engineering, published online Nov 10 2015. DOI: externe Seite10.1021/acsbiomaterials.5b00404

B?hni L, Rühs PA, Windhab EJ, Fischer P, Kuster S. Gelation of Soy Milk with Hagfish Exudate Creates a Flocculated and Fibrous Emulsion- and Particle Gel. PlosOne, published January 25, 2016, DOI: externe Seite10.1371/journal.pone.0147022

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